Lyrik in Klasse 8: Ein Parallelgedicht verfassen
Das Deutschbuch der 8. Klasse enthält eine Lyrik-Einheit zum Thema „Stadtgedichte“. Gedichte vom 19. Jahrhundert bis heute verdeutlichen zum einen die Entwicklung des urbanen Raumes, zum anderen thematisieren sie das Verhältnis des Individuums zur Stadt. Klassischerweise werden im Unterricht Gedichte gelesen, analysiert und interpretiert, was interessant und anspruchsvoll ist. Es gibt aber auch andere Herangehensweisen an diese besonders „dichten“ literarischen Texte, z.B. das Schreiben eines sogenannten Parallelgedichtes. Ein Parallelgedicht ist ein Gedicht, das sich inhaltlich und formal am Original orientiert. Während des eigenen Schreibprozesses wird deutlich, wie anspruchsvoll es ist, einen so kurzen, dennoch aussagekräftigen Text zu schreiben und dabei gleichzeitig formale Kriterien zu erfüllen. Diese Erfahrung verhilft den Schülerinnen zu einer vertieften Analyse- und Interpretationsfähigkeit.
In Theodor Storms Gedicht „Die Stadt“ wird die Liebe des Autors zu seiner Heimatstadt Husum deutlich; im Gedicht „Die stille Stadt“ von Richard Dehmel steht vor allem die unheimliche Atmosphäre, die der Wanderer wahrnimmt, im Vordergrund. Aufgabe für die Schülerinnen war es nun, einen ähnlichen Text zu schreiben und dabei zu versuchen, die äußere Form (Strophen- und Versanzahl, Metrum, Reim) zu imitieren; inhaltlich wurde die Aufgabe erweitert: Die Schülerinnen sollten entweder über eine Stadt oder über einen Ort, der eine besondere Bedeutung für sie hat, schreiben.
Hier zuerst die Originaltexte:
Theodor Storm: Die Stadt (1852)
Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drückt die Dächer schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintönig um die Stadt.
Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
Kein Vogel ohn Unterlass;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras.
Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber für und für
Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer.
Richard Dehmel: Die stille Stadt (1896)
Liegt eine Stadt im Tale,
ein blasser Tag vergeht;
es wird nicht lange dauern mehr,
bis weder Mond noch Sterne,
nur Nacht am Himmel steht.
Von allen Bergen drücken
Nebel auf die Stadt;
es dringt kein Dach, nicht Hof noch Haus,
kein Laut aus ihrem Rauch heraus,
kaum Türme noch und Brücken.
Doch als den Wandrer graute,
da ging ein Lichtlein auf im Grund;
und durch den Rauch und Nebel
begann ein leiser Lobgesang
aus Kindermund.
Und hier die Parallelgedichte der Schülerinnen:
Im kühlen England an der Küst‘
Im kühlen England an der Küst‘
dort liegt St. Iver am Meer
es ist nicht leer, es ist nicht wüst
doch ist sie wirklich schroff, die Küst‘
ich lieb‘ die Landschaft sehr.
Die Möwen kreischen Tag und Nacht
sind weiß und schön und laut
und gibst du mal nicht richtig Acht
und hält auch sonst hier keiner Wacht
wird’s Essen dir geklaut.
Die Brandung, die tost ungemein
Mal ist Ebbe, mal ist Flut
und springst du in die Wellen rein
dann könnte nichts mehr schöner sein
ach Schwimmen tut so gut.
Durch sandige Dünen, durch matschiges Watt
Durch sandige Dünen, durch matschiges Watt
Die Wellen brechen am Strand
Das Wasser schleift die Muscheln glatt
Die Großen suchen Tiere im Watt
Die Kinder spielen im Sand
Es fliegen überall Möwen vorbei
Auf der Suche nach Fisch
Erblicken kurz eine Leckerei
Und stürzen sich mit großem Geschrei
Auf Reste unterm Tisch
Auf hoher See, am Horizont
Bei Sonne und bei Sturm
Die Surfer warten ganz gespannt
Wer die nächste Welle bekommt
Im grellen Licht vom Leuchtturm
In Muggensturm
Man nennt es bei uns Mugge,
die Witze über den Name müsse
ma schlugge.
Was niemand weiß,
zum schönsten Ort von Baden-Württemberg,
da gab’s schon viermal en Preis.
Zum Namen kams
Im Kampfe mit Mugge,
viel los is ned,
da gibt’s nichts zum Gucke.
Oft kommts ned zum Sturme,
geschmückts ist’s jedoch
mit Blume.
Weit weg vom Trubel ein Walde liegt
Weit weg vom Trubel ein Walde liegt,
von Baum zu Baum ein Eichhörnchen fliegt.
Vereinzelt tritt die Sonne hervor,
hilft mir, als ich den Weg verlor.
Eine Wiese im Herzen der Bäume
Lässt mir Zeit für all meine Träume.
Das Gras, so grün, so weich
hinter mir quaken die Frösche im Teich.
Von einem Glücksgefühl erfasst,
breche ich nun ab meine Rast.
Setze ich meinen Spaziergang fort
wünsche mich an keinen anderen Ort.
Meine Oma wohnt in Biberach
Meine Oma wohnt in Biberach
Bin ich bei ihr werd ich stets schwach
Dort sind so tolle Bäckereien,
die haben beste Leckereien.
Die Oma kauft für mich dort ein
Und ich hau mir das Zeug dann rein.
Der Schnee ist sehr schön anzusehen,
jedoch der Frost nicht angenehm
beim Laufen muss ich ganz schön schlittern
die Knochen mir im Leibe zittern.
Tag am Meer
Ich schnappe mein Fahrrad,
voll Vorfreude gepackt,
und fahre den weiten Strand entlang
ich seh‘, wie sich Sonne im Wasser spiegelt,
ein Lächeln huscht mir über’s Gesicht.
Ich steige ab von meinem Fahrrad,
gehe ein paar Schritte auf dem Sand,
die Füße brennen, die Menschen rennen,
auf in’s kühle Nass.
Die Sonne brennt auf graue Olivenbäume
Die Sonne brennt
Auf graue Olivenbäume
Schlechte, stickige Luft und
heißer Wind
Menschen eilen
durch Gassenlabyrinthe
Vorbei an überfüllten Läden
und erschöpften Händlern
Hungernde Katzen schleichen
durch Müllberge
Klapprige Autos
Verpesten die Luft
Rostige Motorräder
dröhnen durch die Stadt.
Das Dorf
Direkt am Wald, direkt am Feld
und seitab liegt das Dorf,
fast wohnen dort nur alte Leut‘
und Abwechslung gibt’s fast nicht heut,
nur Spatzen zwitschern im Dorf.
Zur Mittagszeit um zwölf
ertönt die Glocke der Kirche,
aber dorthin fast keiner mehr geht
bis auf drei alte Leut.
Trotzdem das Dorf geheimnisvoll ist,
ein guter Rückzugsort,
man sieht auch Menschen, hier und dort,
im Dorf.
U-Bahn-Bau
Ein Baustellenzaun,
Maschinen dröhnen, Erde klafft auseinander,
das ist der Anfang.
Baustellenzäune reihen sich dicht an dicht
die Stadt hat hier ein hässliches Gesicht,
dazwischen ein geschäftiges Treiben,
die Bauarbeiter beschäftigt umhereilen.
Kräne aus Stahl ragen wie Gerippe heraus,
oben schwebt ein Kranlenker im Führerhaus.
Sein Blick fällt auf das tiefe dunkle Loch,
dort unten soll die U-Bahn fahren:
Geht das überhaupt noch?
Fragen türmen sich auf,
ob das Kombiprojekt geht auf
und wer übernimmt die Schulden,
kann man das überhaupt noch dulden?