Nagelkreuzandacht
Impressionen und Predigt von der Nagelkreuzandacht, die unsere Schülerinnen der 8. Klassen am Freitag, dem 8.11.2018, anlässlich des Gedenkens an den 80. Jahrestag der Pogromnacht 1938 besuchten.
Impressionen
Kurzpredigt von Erhard Bechtold
„In dieser Nacht konnten wir alle nicht schlafen. Wir hörten die Sirenen des Feuerwehrautos, Klirren von Glas, Brüllen, laute Kommandoschreie.“
So erzählt es in seinem Buch ein Mann aus Karlsruhe, Kurt Witzenbacher, der an jenem 9. November 1938, an dem das alles passierte, ein Schuljunge war. Und er schreibt weiter: Am nächsten Tag hatten wir nur zwei Stunden Unterricht. Unser Klassenlehrer sagte uns, bevor wir entlassen wurden: „Heute Nacht ging es den Juden an den Kragen! Seid froh, dass ihr keine Juden seid. Wir müssen die Juden loswerden“. „Nach der Schule lief ich voll Neugier und Angst durch die Straßen. Nach wenigen Minuten kam ich bei der Synagoge (dem Gotteshaus der Juden) an. Davor drängte sich eine große Menschenmenge. SA-Männer trugen Thorarollen und Bücher heraus und warfen alles auf einen Haufen. Einer der SA-Männer trampelte auf einer Thorarolle herum und spuckte noch darauf. Und vor kurzem hatten mir Ruth, das jüdische Mädchen, das in unserem Haus wohnte und mit dem ich befreundet war, und ihr Vater erklärt, wie heilig die Thorarolle ist. So heilig, dass man sie einmal berühren darf.“
Soweit das, was der Schuljunge vor genau 80 Jahren hier in Karlsruhe erlebte.
Aus einer solchen Schriftrolle hat auch Jesus in der Synagoge in seiner Heimatstadt vorgelesen, wie wir im Evangelium gehört haben. In Nazareth gab es einen Gottesdienst und Ehrfurcht vor der heiligen Schrift – und fast zweitausend Jahre später in Karlsruhe – und in vielen anderen Städten in Deutschland - das Gotteshaus, die Synagoge wurde angezündet und die heiligen Schriften in den Dreck geworfen.
Daran denken wir heute – voller Scham und Abscheu, dass man so etwas machen kann. Die Nazis hatten die Macht – und ihr Ziel war, dass sie mit ihrer bösen Lehre die ganze Welt beherrschen wollten. Auch das Christentum sollte es nicht mehr geben. Sie würden ja auch das St.-Dominikus-Gymnasium schließen und die Schwestern vertreiben – es sollten ja andere Lehrer geben – wir haben es gehört. Und vor allen Dingen: Es sollte keine Juden mehr geben.
Ein Jahr später, 1939, stürzten die Nazis Deutschland und ganz Europa in einen Krieg – manche sagten, dass der 1. Weltkrieg – auch gerade vor 100 Jahre 1918 beendet – nur unterbrochen war und im 2. Weltkrieg weiterging. Aber nicht nur auf freiem Feld draußen bei den Soldaten, sondern mitten in Dörfern und Städten. Eine der ersten Städte, die in einem Bombenhagel zerstört wurden, war die englische Stadt Coventry. Und mit ihr wurde auch die wunderschöne gotische Kathedrale zerstört. Der Dachstuhl brannte völlig aus, und unter den verkohlten Balken fand der Pfarrer dort große Nägel, die das Dachgestühl zusammen hielten, und machte ein Kreuz daraus – und formulierte ein Gebet, das wir auch nachher miteinander beten werden. Nein, das Böse, die Zerstörung, die Gewalt sollte nicht das letzte Wort haben.
Jesus hat damals in der Synagoge mit dem, was er vorgelesen hat, den Menschen Hoffnung und Zuversicht geben wollen, auch wenn sie eine ganz andere Zeit erlebten: Den Armen bringe ich eine gute Nachricht; den unschuldig Gefangen verkünde ich die Entlassung aus dem Gefängnis; den Zerschlagenen, denen, die so viele Verwundungen aus ihrem Leben mit sich tragen, die Freiheit – dass sie nicht mehr gefangen sind in ihren Ängsten, in allem was für sie bitter ist. Ein Gnadenjahr soll ausgerufen werden – eine Zeit, in der es barmherzig zugeht, wo Gottes Gnade und Liebe die Menschen bestimmen.
Gott sei Dank endete die schlimme Zeit der Nazidiktatur. Aber wir dürfen das nicht vergessen – gerade im Erinnern an das, was damals gewesen ist, liegt die Chance, dass wir einen guten Weg gehen, dass wir wieder einen guten Weg gefunden haben und – dass wir für heute wachsam sind und nicht dulden, dass Menschen Angst haben müssen, ausgegrenzt werden, dass Gotteshäuser geschändet werden oder dass schlimme Worte und Parolen aufkommen können.
Jesus hat damals in der Synagoge diese guten Worte aus dem Propheten Jesaja den Menschen gesagt. Er sagt sie uns auch heute.
„In dieser Nacht konnten wir alle nicht schlafen“ – so hatte es der kleine Junge Kurt Witzenbacher erlebt vor 80 Jahren. Es sollen heute und in jeder Nacht die Kinder und die Großen überall auf der Welt ruhig schlafen können – es soll ein guter Geist, von dem Jesus spricht - in den Herzen der Menschen sein und keiner, der Böses im Sinn hat. Amen